Der Druck war gross auf der INC-4, der vorletzten Gesprächsrunde zur Ausarbeitung eines internationalen, rechtsverbindlichen Abkommens zur Beendigung der Plastikverschmutzung. Nachdem auf den drei vorangegangenen Sitzungen keine wesentlichen Fortschritte erzielt worden waren, begannen die Mitgliedstaaten schliesslich mit der Diskussion über den Inhalt des Vertrags.
Während der sieben Tage (23. – 29. April 2024) in Ottawa gelang es den Delegierten, einige der vorgeschlagenen Texte zu „straffen“, aber mit einer Flut neuer Zusätze und Klammern, die zeigten, dass sie mit den darin gesetzten Worten nicht einverstanden sind. Am Ende blieb ein Entwurf übrig, der noch lange nicht bereit ist für die im November 2024 stattfindenden Verhandlungen an der letzten Sitzung in Busan, Korea.
Eine Momentaufnahme des gestrafften INC-4-Textes: Alle Wörter in Klammern wurden von mindestens einem Mitgliedstaat beanstandet.
Im Wissen, dass noch viel Arbeit zu erledigen ist, einigten sich die Mitgliedsstaaten auf die Einsetzung einer Gruppe zur Ausarbeitung von rechtlichen Dokumenten, die zur Klärung des Textes des Abkommen beitragen sollen. Dies ist dringend erforderlich, da der Text jetzt mindestens 3’686 Klammern enthält, was ihn fast unverständlich macht.
Die Länder einigten sich auch darauf, zwei Expertenarbeitsgruppen einzurichten, die bis November bestimmte Aspekte des Vertrags erörtern sollen wie z. B. bedenkliche Chemikalien, Produktdesign und finanzielle Unterstützung. Vor allem die primären Kunststoffpolymere, die in Ruanda als „der Elefant im Raum“ bezeichnet wurden, standen vor INC-5 nicht zur Diskussion. Der Versuch, eine solche Arbeitsgruppe einzurichten, die sich mit der Reduzierung der Kunststoffproduktion befassen sollte, wurde in letzter Minute abgelehnt. Das bedeutet, dass es zwar schwierig, wenn auch nicht unmöglich sein wird, die Produktionsobergrenze in den endgültigen Vertrag aufzunehmen, was der Schlüssel zur Beendigung der Plastikverschmutzung ist.
Wie bei den INC-Sitzungen inzwischen üblich, blockierten und verzögerten einige wenige Länder weiterhin die Diskussionen. Sie versuchten, den Geltungsbereich des Vertrags auf die Abfallbewirtschaftung zu beschränken, statt wie vorgeschrieben auf den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen. Und dabei sollen alle Verweise auf Produktion, bedenkliche Chemikalien, Herstellerverantwortung, Menschenrechte und Mikroplastik gestrichen werden.
Ein Delegierter sagte, dass jedes einzelne Material Partikel in die Luft abgeben kann – sogar die menschliche Haut -, so dass Kunststoffe nicht hervorgehoben werden sollten. Andere bestritten die Existenz wissenschaftlicher Beweise für die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, schlugen eine Formulierung vor, welche die „kritische Rolle von Kunststoffen für die nachhaltige Entwicklung“ zwar anerkennt, aber warnten vor einer „plötzlichen Abkehr“ von Kunststoffen.
Diese Art von unlauteren Verhandlungen kann nur durch eine strenge Regelung der Interessenkonflikte und das Recht der Mitgliedstaaten, über Entscheidungen abzustimmen, verhindert werden. Das Ziel des Kunststoffvertrags ist es, Lösungen für eine gemeinsame Krise zu finden, die von einer Minderheit schlechter Akteure verursacht wurde. Aber wenn diese Akteure präsent sind und verlangen, dass jeder Text ihre Zustimmung braucht, wie können wir dann jemals hoffen, dies zu erreichen?
Highlights
Juliet Kabera, Rwanda
Der Höhepunkt der sieben Tage war ein Vorstoss für eine Begrenzung der Produktion neuer Kunststoffe, der von Peru und Ruanda unterstützt wurde. Ihr Vorschlag, ein globales Ziel zur Reduzierung des weltweiten Verbrauchs von primären Kunststoffpolymeren um 40 % bis zum Jahr 2040 gegenüber dem Stand von 2025 festzulegen, wurde auf der Tagung von mindestens 29 Mitgliedstaaten unterstützt.
Im Anschluss an den Vorschlag haben diese Länder die „Bridge to Busan Declaration on Plastic Polymers“ (Brücke nach Busan Deklaration über Kunststoffpolymere) ins Leben gerufen, um die INC-Delegierten dazu zu bewegen, sich im Vorfeld der INC-5 für eine Reduzierung der Primärkunststoffproduktion einzusetzen.
Beim Meeting waren viele Rechtsinhaber (Vertreter) anwesend, darunter der Ausschuss für indigene Völker, Abfallsammler, Frauen, Arbeitnehmer und Jugendorganisationen. Rechteinhaber unterscheiden sich von Stakeholdern, da sie international anerkannte menschliche oder kollektive Rechte besitzen, die durch das Ergebnis des Vertrags beeinträchtigt werden. Sie hielten bewegende Reden während des Meetings und führten den „Marsch zur Beendigung des Plastikzeitalters“ durch die Stadt an.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfahl, dass die Verwendung von Kunststoffen in der Medizin und im Gesundheitswesen nicht vom Vertrag ausgenommen werden sollte und das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte forderte eine Verringerung der Kunststoffproduktion mit der Begründung, dass „jeder Mensch, der die Wahl hat, die Natur der Zerstörung vorziehen wird“.
Tiefpunkte
Die Einmischung der Industrie in den Verhandlungsprozess hat deutlich zugenommen. Wir sahen alles, von bezahlter Werbung rund um den Veranstaltungsort, die die Vorzüge von Plastik anpries, bis hin zu Berichten über Schikanen und Einschüchterungen seitens der unabhängigen Wissenschaftsvereinigung. Es gab viele von der Industrie gesponserte Veranstaltungen, darunter eine vom weltgrössten Hersteller von PET-Harz mit dem Namen „Friends of Zero Waste“, während Vertreter von Kunststoffherstellern und Handelsverbänden neben Mitgliedern offizieller Regierungsdelegationen in den Verhandlungssälen sassen.
Die Lobbyarbeit der Industrie und die Verbreitung von Fehlinformationen an die Mitgliedstaaten waren koordiniert und kalkuliert. Eines der Themen der intersessionalen Arbeiten ist daher die „Verbesserung der Recyclingfähigkeit“, obwohl die Gefahren für Gesundheit und Umwelt, die von der Vermischung und Konzentration chemischer Zusatzstoffe während des Recyclingprozesses ausgehen, eindeutig belegt sind.
Eine von CIEL durchgeführte Analyse der veröffentlichten INC-4-Teilnehmerliste ergab, dass 196 Lobbyisten der fossilen Brennstoff- und Chemieindustrie für die Veranstaltung angemeldet waren – ein Anstieg um 37 % gegenüber dem letzten Treffen vor sechs Monaten. Bei Nebenveranstaltungen und informellen Treffen waren wahrscheinlich noch viel mehr Menschen anwesend.
Was geschieht nun?
In der Abschlusssitzung der INC-4, die in den frühen Morgenstunden endete, beschlossen die Länder, die intersessionalen (vorbereitenden) Arbeiten zu priorisieren:
1) Wie die Umsetzung des Vertrags finanziert werden soll;
2) die besorgniserregenden Chemikalien in Kunststoffprodukten zu bewerten; und
3) Produktdesigns überdenken, der Wiederverwendbarkeit und der Wiederverwertbarkeit.
Anderen Teilen des Vertrags – darunter primäre Kunststoffpolymere, Mikroplastik und erweiterte Herstellerverantwortung – wurden weder Zeit noch Mittel zugewiesen.
Die Mitgliedstaaten erklärten sich bereit, Beobachter an diesen Arbeiten teilnehmen zu lassen. Über die Zusammensetzung und den Zeitplan der Arbeitsgruppen muss noch entschieden werden.
Darüber hinaus wurde beschlossen, eine juristische Redaktionsgruppe einzurichten, die den Text rechtlich prüfen und Empfehlungen für die nächste Sitzung abgeben soll.
Die beiden grossen offenen Fragen des Verhandlungsprozesses bleiben offen: Wird der INC auf die Forderungen nach einer klaren Regelung der Interessenkonflikte eingehen, um zu verhindern, dass das künftige Abkommen durch die Petrochemie-Lobby zum Scheitern gebracht wird? Und werden sie das Recht auf Abstimmung über alle Entscheidungen schützen, so dass es nicht verwässert wird?
Graham Forbes, Leiter der globalen Kunststoffkampagne von Greenpeace, drückt es so aus: „Wenn die Mitgliedstaaten bis zur INC-5 in Busan nicht handeln, werden sie wahrscheinlich einen Vertrag bekommen, der auch von ExxonMobil und seinen Gefolgsleuten hätte geschrieben werden können“.
Bildnachweis: alle Fotos wurden im INC-4-Veranstaltungsort von IISD/ENB aufgenommen – Kiara Worth
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